Aktuelles
Gewerkschaftsarbeit betrifft nicht nur bezahlte Arbeit
Die aktuelle Corona-Krise zeigt jedoch exemplarisch, wie sehr eine Gesellschaft auf Organisationen wie zum Beispiel Gewerkschaften angewiesen ist. Dabei sind Erwerbsersatzforderungen von Eltern, welche derzeit ihre Kinder aufgrund von Schulschliessungen und Wegfall der Betreuung durch Grosseltern selbst daheim betreuen und unterrichten müssen, nur die Spitze des Eisberges. Gerade in Krisenzeiten müssen Bedürfnisse und Anliegen gebündelt werden, um so das kleinstaatliche System zu entlasten.
Ebenso wie sich der Organisationsbereich der Gewerkschaften verändert, muss auch die Gewerkschaft sich immer wieder wandeln und hinterfragen, welche Bedürfnisse und Anliegen vertreten werden und wofür sie sich einsetzt. Ihr Handeln darf nicht nur reaktiv, sondern sollte vorausschauend und antizipierend sein. Dabei können und sollen auch Themen in den Fokus geraten, die nicht zur klassischen Arbeit von Gewerkschaften gehören. Beispielsweise der Umgang mit unbezahlter Arbeit oder ganz grundsätzlich eine Loslösung der Existenzsicherung von Erwerbstätigkeit. Gewerkschaftsarbeit kann heute also nicht dort enden, wo die bezahlte Erwerbstätigkeit aufhört. Sie muss den ganzen Menschen im Sichtfeld haben und versuchen, die Situation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als Ganzes zu verbessern.
In einem Kleinstaat wie Liechtenstein mit nur einer einzigen Gewerkschaft wiegt diese Verantwortung besonders schwer. Um dieses Gewicht zu stemmen, braucht es, wie die letzten 100 Jahre zeigen, sehr viel Engagement einzelner Persönlichkeiten. Damit eine Gewerkschaft aus einer reaktiven Haltung in eine proaktive Handlungsweise wechseln kann, reicht dieses Engagement nicht aus. Es braucht auch ein klares Bekenntnis des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes, dass eine gewerkschaftliche Organisation auch in einem Kleinstaat wie Liechtenstein unverzichtbar ist und entsprechend wertgeschätzt werden sollte.
Gastkommentar von Dr. Linda Märk-Rohrer in der lie:zeit vom 10.05.2020. Dr. Linda Märk-Rohrer ist Forschungsbeauftragte Politik am Liechtenstein-Institut.